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16.11.2004 taz Themen des Tages 110 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 5
von DOMINIC JOHNSON
Es wird Afrikas größte Friedenskonferenz, und sie folgt auf Afrikas größten Krieg. Die "Internationale Konferenz für die Region der Großen Seen", die heute in Tansanias Hauptstadt Daressalam auf Außenministerebene beginnt und am Wochenende mit einem Staatengipfel endet, soll einen Schlussstrich unter die blutigen Konflikte Zentralafrikas ziehen. Rund 10 Millionen Tote gab es, zählt man Sudan und Angola und andere Teilnehmerländern zu denen der Kernregion dazu, seit, ausgehend vom Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 und den Kongo-Kriegen 1996-2003, eine Spirale von Bürgerkriegen und Militärinterventionen einsetzte.
Die Konferenz soll nach zehnjähriger Vorbereitung ein ähnliches Signal für Afrika setzen wie 1975 die KSZE-Verträge von Helsinki für das Europa das Kalten Krieges: die Überwindung gegenseitigen Misstrauens. Zahlreiche Länder aus aller Welt, auch Deutschland, sind neben den elf Kernländern (siehe unten) nach Daressalam eingeladen. Dort wird zunächst ein "Aktionsplan" verabschiedet; im Mai 2005 folgt in Kenias Hauptstadt Nairobi ein Pakt über Sicherheit, Stabilität und Entwicklung.
Grundphilosophie ist, dass innere und äußere Konflikte in Zentralafrika voneinander nicht zu trennen sind. Ein Konzeptpapier des Auswärtigen Amtes nennt drei gedankliche Grundlagen: "Erstens, dass der Konflikt in der DR Kongo regionale Dimensionen hat; zweitens die Tatsache, dass die Menschen der Region der Großen Seen ethnisch, kulturell und sprachlich miteinander verbunden sind, dass intern begründete Instabilität in einem Land schnell eine Konfliktdynamik in der gesamten Region auslöst und anheizt; und drittens die Notwendigkeit, in einem regionalen Rahmen Lösungen für die den beteiligten Ländern innewohnenden Konflikte und Instabilität zu suchen."
Unzählige Minister gehen nun mit Lieblingsideen zur Wirtschaftsintegration hausieren: Strom aus dem Kongofluss, Methangas aus dem Kivu-See, Öl an der ugandischen Grenze. Aber es geht um mehr, wie der zuständige UN-Sonderbeauftragte Ibrahima Fall im Oktober vor dem UN-Sicherheitsrat betonte. "Krieg beginnt in den Köpfen", sagte er: "Ausbildung zum Frieden, zu Toleranz, zu Multikulturalität und demokratischen Werten hat Vorrang."
Schließlich nützt Wiederaufbau nichts, wenn die Gründe für Krieg bestehen bleiben. Zu diesen zählt der kongolesische Politologe Jean-Pierre Mbelu "die immer schärfere Ausprägung von Identitätskonflikten, die Anbetung der Macht und des Geldes, zufällige Grenzen, gezogen von Kolonialherren, Abwesenheit eines Rechtsstaates". Andere verweisen auf die Verarmung breiter Bevölkerungsteile, die Menschen in die Arme von Warlords treibt, und ungleiche Landverteilung, die Migration aus dicht besiedelten in wenig erschlossene Gebiete erzwingt, auch wenn eine Staatsgrenze im Weg ist.
Zu all dem wird die Konferenz nichts sagen - aus gutem Grund: Weder eine Neuziehung der Grenzen noch das Umkrempeln der politischen Ordnung einzelner Länder wären konsensfähig. In Vorkonferenzen verhinderte der Kongo sogar, dass das Treffen Nationalitätenfragen behandelt - dabei ist der Streit um die Staatsbürgerschaft der ruandischstämmigen Minderheit des Ostkongo einer der wichtigsten ungelösten Konflikte der Region. Das sei eine "innere Angelegenheit". Der Kongo strich sogar den von Ruanda gewünschten gemeinsamen "Kampf gegen Völkermordideologie" aus der Konferenzvorlage.
Im Gegenzug gelten nun aber auch die vom Kongo als Probleme angeführte Ausplünderung natürlicher Ressourcen oder die Einhaltung demokratischer Mindeststandards als "innere Angelegenheiten" und werden als Allgemeinplätze abgehandelt. Kongolesische Nationalisten machen daher jetzt schon gegen die Konferenz mobil. Eine "Konferenz der Schlächter" beklagt Mwami Ndatabaye - ein einflussreicher traditioneller König im Ostkongo, der selbst Milizen unterstützt. Aber auch der KSZE-Prozess brauchte schließlich viele Jahre, bevor Ergebnisse sichtbar wurden.
16.11.2004 taz Themen des Tages 134 Zeilen, D.J. S. 5< /p>
Dem. Rep. Kongo
Bevölkerung: 58,3 Mio.
Konfliktgeschichte: Kriege 1996-1997 und 1998-2003, hunderttausende Tote und drei Millionen indirekte Kriegsopfer. Halb Afrika militärisch und/oder ökonomisch beteiligt.
Heute: Friedensprozess mit Allparteienregierung und UN-Truppen, Wahlen Juni 2005 geplant. Aber weiterhin politischer Streit, Kämpfe im Ostkongo, verbreitetes Elend der Bevölkerung.
Ruanda
Bevölkerung: 8,4 Mio.
Konfliktgeschichte: Völkermord 1994 mit 1 Million Toten. Völkermordtäter flohen nach Kongo, Ruanda unterstützte Kongos Rebellen.
Heute: stabil, aber autoritär, Transitland des Rohstoffexports aus Ostkongo. Weiter Konflikt mit Hutu-Milizen dort.
Burundi
Bevölkerung: 6,2 Mio.
Konfliktgeschichte: Krieg 1993-2002 mit über 300.000 Toten. Viele Flüchtlinge und Milizen in Kongo und Tansania.
Heute: Friedensprozess mit Allparteienregierung und UN-Truppen, Wahlen April 2005 geplant. Aber noch Milizen aktiv, wenig Vertrauen zwischen Hutu- und Tutsi-Politikern.
Uganda
Bevölkerung: 26,1 Mio.
Konfliktgeschichte: Diktatur und Kriege in den 80er-Jahren mit über 500.000 Toten. Sudan und Kongo unterstützten in 90er-Jahren Ugandas Rebellen, Uganda unterstützte Rebellen in Sudan und Kongo.
Heute: politisch stabil, aber Mehrparteiendemokratie eingeschränkt, weiter Krieg im Norden mit Millionen Flüchtlingen.
Kenia
Bevölkerung: 32,4 Mio.
Konfliktgeschichte: traditionell Drehscheibe des Außenhandels der Region, inklusive Waffen und Hilfsgüter.
Heute: Politische Reformen seit Wahlen 2002, Hoffnung auf Wirtschaftsblüte. Gastgeber für Somalia-Friedensgespräche. Aber Probleme mit Waffenschmugglern und Islamisten.
Tansania
Bevölkerung: 36,1 Mio.
Konfliktgeschichte: einst politische Basis vieler Befreiungsbewegungen der Region, von Uganda bis Südafrika; Friedensvermittler für Burundi.
Heute: Gastgeber der jetzigen Friedenskonferenz.
Sambia
Bevölkerung: 8,4 Mio.
Konfliktgeschichte: Friedensvermittler für Angola und Kongo.
Heute: Flüchtlinge und Schmuggler aus diesen Ländern weiter aktiv.
Angola
Bevölkerung: 13,3 Mio.
Konfliktgeschichte: Jahrzehntelang Befreiungs- und Bürgerkrieg bis 2002 mit über 1 Million Toten unter Beteiligung der Supermächte und Südafrikas.
Heute: Größte Ölvorkommen und stärkste Armee der Region. Wenig politische Öffnung oder ökonomische Transparenz.
Kongo-Brazzaville
Bevölkerung: 3,8 Mio.
Konfliktgeschichte: Politische Wirren und Bürgerkrieg 1992-2002 mit zehntausenden Toten. Basis für fliehende Milizen aus Angola, Kongo und Ruanda.
Heute: Drehscheibe des regionalen Diamantenschmuggels.
Zentralafrikanische Rep.
Bevölkerung: 3,7 Mio.
Konfliktgeschichte: einst Basis französischer Militärinterventionen in Afrika, dann Wirren und Bürgerkrieg unter Beteiligung von Kongo, Tschad, Sudan und Libyen bis Militärputsch 2003.
Heute: Durchzugsgebiet für Milizen und Banditen aus allen Nachbarstaaten.
Sudan
Bevölkerung: 39,1 Mio.
Konfliktgeschichte: Krieg im Südsudan seit 50er-Jahren mit über 2 Millionen Toten, Friedensprozess dort seit 2002. Brachte Machthaber in Tschad an die Macht, unterstützte Islamisten in Ostafrika.
Heute: Krieg im Westsudan (Darfur) mit Millionen Vertriebenen, bröckeliger Friedensprozess im Südsudan und unklare politische Aussichten. D.J.