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21.8.2004 taz Meinung und Diskussion 106 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 11
Als die 163 Opfer des Massakers an kongolesischen Banyamulenge-Flüchtlingen in Burundi am vergangenen Montag am Ort ihrer Ermordung beigesetzt wurden, bemerkte keiner der zahlreichen hochrangigen Redner öffentlich die kurioseste Seite des Ereignisses: Die Getöteten waren vor ethnischer Verfolgung geflohen - aber niemand dachte daran, ihre Leichen zur Bestattung zurück in die Heimat zu überführen. Selbst nach dem Tod, dieser Eindruck blieb bei manchen Trauergästen zurück, werden die Banyamulenge ausgegrenzt.
Kein Ereignis seit dem formellen Ende des Krieges in der Demokratischen Republik Kongo hat so deutlich gemacht wie das Massaker von Gatumba, dass der viel gepriesene Friedensprozess dem Land keinen Frieden bringt. Die Bedeutung des Massakers geht daher weit über die der Zahl seiner Opfer hinaus: Die ist zwar erschreckend, in einer Region mit Millionen Kriegstoten im vergangenen Jahrzehnt aber nicht außergewöhnlich. Das Massaker markiert das Ende der Illusion, dass nach Jahrzehnten des Staatszerfalls und der organisierten Ausplünderung und nach Jahren des Kriegs und der Zerstörung die Unterschriften von Warlords unter Friedensverträge ausreichen könnten, damit die Scherben eines in Stücke gehauenen Staates und die Reste einer verwüsteten Gesellschaft auf wundersame Weise wieder zusammenwachsen.
Genau dies aber war die Vorstellung der internationalen Gemeinschaft. Jahrelang geißelte sie Kongos Mächtige als blutrünstige Kriegsverbrecher und Ausplünderer - aber als die Warlords des Kongo vor ziemlich genau einem Jahr ihre Allparteienregierung in der Hauptstadt Kinshasa bildeten, verwandelten sie sich in den Augen der Welt in friedliche Reformer. Die internationalen Geber versprachen Finanzhilfen in mehrfacher Höhe des kongolesischen Bruttosozialprodukts. Eine UN-Mission wurde aufgestellt, die fast so viel Geld verschlingt wie der gesamte kongolesische Staatshaushalt. Politiker aller Großmächte gaben sich in Kinshasa die Klinken ihrer überteuerten Hotelzimmer in die Hand.
Die Realität sahen sie nicht: Ein Drittel der 60 Millionen Einwohner des Kongo hat überhaupt kein Einkommen, in weiten Landstrichen irren noch immer Millionen Kriegsvertriebene herum, und die reale Macht kommt immer noch aus den Gewehrläufen. Die Reichweite der staatlichen Institutionen kam niemals auch nur an die der privaten Mobilfunkbetreiber heran. Die Errungenschaften des Friedensprozesses sind Luftschlösser. Kaum ein Kongolese kennt die vielen Verträge und Gesetze, die dem Frieden zugrunde liegen. Aber jeder kennt die kleinen Willkürherrscher, die einem direkt im eigenen Alltag ein geordnetes Leben unmöglich machen.
Vor allem im Osten des Kongo, wo der Krieg und seine Folgen Millionen Tote forderten, nimmt die Unsicherheit seit dem Friedensschluss weiter zu. Die Region wurde vom Krieg am schwersten getroffen, aber in der Allparteienregierung finden ihre Probleme am wenigsten Berücksichtigung. Die 2.000 Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa hat von dieser Region weder Ahnung noch viel dort zu sagen, und mit dem Ende des Krieges lösten sich auch die lokalen Herrschaftsstrukturen aus Kriegszeiten zusehends auf. Nachdem die Führer der ostkongolesischen lokalen Kriegsparteien nach Kinshasa weggelobt wurden, blieb in den Kivu-Provinzen ein explosives Gemisch aus zweitrangigen Politikern, Kriegsherren ohne Kriegsziel und mafiosen Händlern zurück.
Heute weiß niemand wirklich, wer im Ostkongo die Bodenschätze ausbeutet, wohin die Einnahmen der staatlichen Behörden gehen und wem die vielen Milizen der Region unterstehen. Es landen immer mehr UN-Truppen, aber gegenüber ethnischen Vertreibungen und Milizenterror bleiben sie untätig. Da verwundert es nicht, dass eine mehrtausendköpfige Rebellenarmee im Handstreich eine Provinzhauptstadt einnehmen kann, wie im Juni in Bukavu geschehen. Oder dass Todesschwadronen unbemerkt die Grenze zu einem Nachbarland überqueren und dort nachts Flüchtlinge massakrieren, wie jetzt in Burundi.
Ein Jahr nach Bildung der Allparteienregierung und ein Jahr vor den geplanten freien Wahlen gehört Kongos Friedensprozess vom Kopf auf die Füße gestellt. Statt ihn bloß von oben zu bauen, mit einem gemeinsamen Kabinett für verfeindete Politiker und einem gemeinsamen Generalstab für verfeindete Militärs, muss er von unten gefördert werden: zwischen den Menschen, die immer tiefer ins Elend sinken und immer weniger von den Wirren um sie herum begreifen. Vor Frieden auf lokaler Ebene kann es keinen auf nationaler geben. Gerade im Zusammenleben zwischen den unterschiedlichen Ethnien und widerstreitenden ökonomischen Interessen des Ostkongo liegt der Schlüssel zum Frieden des Landes. Wenn das nicht beachtet wird, dann wird der Friedensprozess höchstens ein Innehalten vor dem nächsten Krieg sein.
DOMINIC JOHNSON