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13.1.2009 taz Nr. 8783 Themen des Tages 183 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 4
Eigentlich sollte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den Kriegsverbrechern der Welt schlaflose Nächte bereiten. Doch tatsächlich ist seine Arbeit oft nur Stückwerk. Das zeigt auch der Fall des früheren Vizepräsidenten des Kongo, Jean-Pierre Bemba, der seit gestern verhandelt wird
Das Verfahren gegen Jean-Pierre Bemba verdeutlicht die Unzulänglichkeiten des Internationalen Strafgerichtshofs
VON DOMINIC JOHNSON
Vor gut zwei Jahren war Jean-Pierre Bemba noch einer der mächtigsten Politiker der Demokratischen Republik Kongo. Der ehemalige Vizepräsident des Landes hatte im Jahr 2006 bei der Stichwahl gegen Staatspräsident Joseph Kabila immerhin 42 Prozent erzielt. Am Montag saß Bemba in Den Haag vor den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs und hörte sich an, wie ihm schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden, an erster Stelle Vergewaltigung als Kriegsmethode. "Bemba wollte die Zivilbevölkerung traumatisieren und terrorisieren", sagte die Vertreterin der Anklage, Fatou Bensouda.
Die Anhörung ist noch kein Prozess, vielmehr wird die Zulässigkeit der Anklage geprüft. Vor acht Monaten wurde Bemba in Brüssel festgenommen und ausgeliefert; seither sitzt er in Den Haag in Haft. Ins Brüsseler Exil war er gegangen, nachdem sein Widersacher Kabila ihn nach gewonnener Wahl blutig niedergekämpft hatte. Die Schlachten inmitten der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa im März 2007 forderten hunderte Tote; UN-Ermittler fanden später gefesselte Leichen von hingerichteten Bemba-Anhängern im Kongo-Fluss. Aber eine Anklage deswegen gibt es in Den Haag nicht.
Zweierlei Maß? Der Internationale Strafgerichtshof, im Jahr 2002 als erste supranationale Instanz zur Verfolgung von schweren Kriegsverbrechen gegründet, würde diese Vermutung weit von sich weisen. Seine Sicht auf sich selbst sieht so aus: In jahrelanger Detailarbeit, unter Lebensgefahr für viele Informanten und Zeugen bringen die Ermittler allmählich Licht ins Dunkel der miteinander verwobenen Kriege Zentralafrikas. Ihre Arbeit reicht von der kongolesischen Kriegsprovinz Ituri, wo 2002/03 die blutigsten ethnischen Massaker des Kongo stattfanden, über die Verwüstungen der nordugandischen Rebellenbewegung Lord's Resistance Army bis zum Vernichtungskrieg im sudanesischen Darfur. Weitere Ermittlungen, zum Beispiel zum Ostkongo, sind in Vorbereitung. Mit jedem neuen Fall, jedem neuen Haftbefehl erfahren neue Opfer Gerechtigkeit. Im Fall Darfur hat die Anklage sogar Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan el-Beshir wegen Völkermordes beantragt. Die Entscheidung darüber wird noch für diesen Monat erwartet. Es wäre die kontroverseste Entscheidung, die der Gerichtshof je getroffen hat, und ein Signal an alle Kriegsverbrecher der Welt.
So weit die Theorie. Die Praxis: Stückwerk, das komplexe Kriege mit vielschichtigem Verlauf auf die Schuld einzelner Personen reduziert. Die Ermittlungen sind wie ein Puzzlespiel, dessen Teile nie zusammengefügt werden, obwohl sie isoliert keinen Sinn ergeben. Der erste Häftling in Den Haag war 2006 der kongolesische Warlord Thomas Lubanga, gegen den am 26. Januar auch der erste Prozess des Strafgerichtshofs beginnen wird. Angeklagt ist er wegen etwas, wofür man unzählige afrikanische Führer vor Gericht stellen könnte: Einsatz von Kindersoldaten. Massaker, die Lubangas Miliz möglicherweise begangen hat, sind ebenso wenig Thema wie sein Entlastungsvorwurf, er habe seine Volksgruppe der Hema vor einem Genozid geschützt.
Dies wird höchstens zur Sprache kommen, wenn Lubangas einst ärgste Gegner vor Gericht kommen: die seit 2007 in Den Haag inhaftierten Warlords Germain Katanga und Mathieu Ngudjolo. Ihnen wird u. a. ein Massaker an hunderten Hema vorgeworfen. Die Klärung dieser Gräueltat im Dorf Bogoro im Februar 2003 wäre auch für den Fall Lubanga interessant. Aber eine Verknüpfung der verschiedenen Fälle sieht der Gerichtshof nicht vor. Ob Zeugen in einem Fall auch wichtig für einen anderen wären, ob Entlastungszeugen im einen vielleicht Mitschuldige im anderen sein könnten - man wird es nicht erfahren. Und weil es auch ansonsten keine Instanz gibt, die den Krieg im Kongo aufarbeitet, der mitsamt seiner humanitären Folgen seit 1996 Millionen Tote gefordert hat, bleiben die anhängigen Kongo-Fälle isoliert und selektiv.
Kein Wunder, dass die Ermittlungsarbeit des Strafgerichtshofs auf Probleme stößt. Dort, wo Ermittler aus Den Haag am meisten Informationen gesammelt haben - in Ituri oder Uganda -, finden sie nur noch schwer Zeugen und Informanten. Menschenrechtsaktivisten und Zeugen, die die Kriege in diesen Regionen überlebt haben, müssen erfahren, dass man ihr Wissen und ihre Erinnerungen nicht in der Gesamtheit würdigt, sondern dass ausgesiebt wird, und zwar nicht nach Brisanz der jeweiligen Geschehnisse, sondern nach Relevanz für den jeweiligen Einzelfall. Das ist logisch, aber schwer zu vermitteln. Die Kriterien bleiben undurchsichtig und werden nicht einsichtig gemacht. Das Interesse von Experten und Zeugen, in Den Haag aufzutreten, wird daher geringer.
Das Dilemma wird besonders deutlich im Falle Bemba, der dieser Tage verhandelt wird. Der einstige kongolesische Rebellenführer sitzt nicht etwa wegen etwaiger Verbrechen im Kongo in Haft, worüber unzählige Kongolesen etwas zu berichten hätten. Es geht allein darum, dass Bemba Ende 2002 einem Hilfeersuchen des damaligen Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik folgte. Präsident Ange-Félix Patassé holte Kämpfer von Bembas MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) in die zentralafrikanische Hauptstadt Bangui, um seinen rebellischen ehemaligen Armeechef François Bozizé zu bekämpfen.
In Den Haag geht es jetzt um Verbrechen im Rahmen dieses Einsatzes. Aber eben nur Verbrechen der Bemba-Kämpfer. Patassé selbst steht nicht vor Gericht. Er wurde 2003 tatsächlich von Bozizé gestürzt, der die Zentralafrikanische Republik bis heute regiert, und ging ins Exil. Doch im Dezember 2008 kehrte er in die Heimat zurück, nahm an einer Nationalen Versöhnungskonferenz teil und wurde amnestiert. Während in Den Haag die Anklage verlesen wird, laufen in der Zentralafrikanischen Republik Gespräche über eine Regierung der Nationalen Einheit.
Einer der wichtigsten Informanten des Strafgerichtshofs in Bangui ist nun in einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen. Nganatouwa Goungaye Wanfiyo, Präsident der Zentralafrikanischen Menschenrechtsliga, hatte Zeugen in Dörfern interviewt und war am 27. Dezember auf dem Weg zurück in die Hauptstadt, um nach Den Haag zu fliegen, als sein Auto in dichtem Nebel auf einen unbeleuchteten Lastwagen auffuhr. Seine Kollegen sind davon überzeugt, dass es sich um einen Anschlag handelte. Weder Patassé noch Bozizé ist an einer Aufklärung ihres Krieges interessiert. Bemba als Sündenbock genügt ihnen. Aber eine internationale Justiz, die Menschheitsverbrechen konsequent ahndet, sieht anders aus.