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24.5.2012 taz Nr. 9809 Ausland 133 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 11
Während die Regierungsarmee im Ostkongo Tutsi-Rebellen bekämpft, verstärken ruandische Hutu-Milizen ihre Angriffe im Landesinneren. Die humanitäre Situation wird immer dramatischer
BERLIN taz | Die kongolesischen Flüchtlinge, die aus den Bergen hinunter in die Kleinstadt Minova am Kivu-See kamen, waren am Ende iher Kräfte. Jedes fünfte Kind hatte Durchfall, fast zwei Drittel der Menschen zu wenig zu essen, stellte ein Team des Hilfswerks International Rescue Commitee (IRC) fest. „Die Flüchtlinge haben nichts, ihr Besitz wurde bei Kämpfen geplündert oder angezündet“, so der IRC-Bericht. Sie hätten weder Kochutensilien noch Kleidung zum Wechseln, Zugang zu Latrinen oder Medikamenten gebe es nicht. Um zu überleben, müssten sie auf den Feldern der Einheimischen arbeiten, aber nur eine Minderheit bekäme auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit aus Blättern und Süßkartoffeln.
IRC schloss seine Untersuchung am 7. Mai ab, aber noch immer ist humanitäre Hilfe für die mindestens 17.000 Flüchtlinge in Minova sowie entlang der Landstraße Richtung Süden erst im Planungsstadium. Nothelfer in den ostkongolesischen Kivu-Provinzen haben derzeit kaum noch einen Überblick, wer alles vor Kämpfen und Übergriffen auf der Flucht ist. Zehntausende Menschen sind in den letzten Wochen nach Ruanda und Uganda geflohen, aber innerhalb Ostkongos steigt die Zahl der Vertriebenen ebenfalls stark an.
Grund ist die zeitgleiche Eskalation einer Reihe lokaler Konflikte. Längst ist Ostkongo nicht mehr wie in den vergangenen Jahren einfach ein Flickenteppich aus Kongos Regierungsarmee, lokalen Selbstverteidigungsmilizen und der ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Die Regierungsarmee hat sich gespalten: Unter Führung von Tutsi-Offizieren ist im April eine Rebellenarmee „Bewegung 23. März“ entstanden, die sich mit den Regierungstruppen täglich schwere Gefechte in den dicht besiedelten Grenzgebieten zu Uganda liefert.
Die Regierungsarmee konzentriert sich auf diese Rebellen und überlässt den Großteil des Landesinneren den anderen bewaffneten Gruppen: der ruandische FDLR sowie lokalen kongolesischen Milizen. Diese tragen Namen wie „Patriotische Allianz für einen freien und souveränen Kongo“, „Front kongolesischer Patrioten“ oder „Raia Mutomboki“. Die beiden Letzteren greifen regelmäßig die FDLR an. Diese schlägt regelmäßig zurück. Fast jeden Tag werden FDLR-Überfälle auf ostkongolesische Dörfer mit vielen Toten gemeldet. Das war auch der Hauptgrund für die Massenflucht nach Minova.
Besonders schlimm soll die Lage in einer Region in der Provinz Nord-Kivu sein, wo die FDLR bereits 2009 eine Reihe besonders schwerer Kriegsverbrechen verübte. Drei Jahre später werden jetzt neue Massaker mit über 100 Toten in derselben Region des Distrikts Masisi gemeldet. Lokale Milizen hätten die FDLR am 14. Mai angegriffen, woraufhin diese am 19. Mai an mehreren Orten zurückschlugen, zitierte der UN-finanzierte Rundfunksender Radio Okapi am Dienstag lokale Gemeindechefs: 5 Tote in Bitoyi, 36 Tote in Kibua, 39 Tote in Kibati, 47 Tote in Kilina Nyakiosi. Die Zahlen sind noch nicht verifiziert. Der gewählte Provinzabgeordnete Robert Senminga verlangte die Entsendung einer unabhängigen Untersuchungskommission, die Distriktverwaltung forderte die Regierungsarmee zur Rückkehr auf.
Kongos Regierung ist aber offensichtlich überfordert: Für sie ist die Tutsi-Rebellion an der ugandischen Grenze die größere Herausforderung. Sie versucht nun, den mächtigen Nachbarn Ruanda zu Hilfe zu holen. Bei einem Treffen in der ruandischen Grenzstadt Gisenyi vereinbarten die Verteidigungsminister Kongos und Ruandas am 12. Mai, innerhalb von zehn Tagen einen „gemeinsamen Plan für Operationen gegen die FDLR“ zu erarbeiten. Eine Regierungskommission beider Länder bekräftigte am 19. Mai den Willen Kongos und Ruandas, „gemeinsam zu arbeiten, um der Existenz bewaffneter Gruppen in der Region ein Ende zu setzen“.
DOMINIC JOHNSON