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22.11.2012 taz Nr. 9963 Ausland 109 Zeilen, SIMONE SCHLINDWEIN S. 10
Nach ihrer Einnahme von Goma nehmen die M23-Rebellen Tausende Soldaten und Polizisten der Regierungsseite auf
AUS GOMA SIMONE SCHLINDWEIN
Mit einem Salut begrüßt Oberstleutnant Eric Mankesi seine neuen Vorgesetzten. Die Kommandeure der siegreichen Rebellenbewegung M23 (Bewegung 23. März) marschieren ins Stadion ein. Hunderte Polizisten und Soldaten der geschlagenen Regierungsarmee – teils in Zivil, teils in Uniform – stehen seit dem frühen Morgen im größten öffentlichen Veranstaltungsort von Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma für sie bereit.
Am Vortag hatten die Rebellen der M23 die ostkongolesische Millionenstadt nach heftigen Gefechten erobert. Die Regierungsarmee hatte den Rückzug angetreten. Doch nicht alle Soldaten sind geflohen. Die meisten hatten einfach ihre Uniformen ausgezogen und sich versteckt, während die Rebellen ihren Einzug feierten. Die M23-Führung forderte dann über Radio diese Soldaten und Polizisten auf, am nächsten Morgen im Stadion von Goma ihre Waffen abzugeben und zur M23 überzulaufen.
Oberstleutnant Mankesi hat als ranghöchster Offizier den ganzen Morgen seine Männer gezählt, ihre Ränge in Handschrift auf Blätter notiert. Diese Liste übergibt er jetzt der M23-Kommandantur. „Es sind rund 2.100 Soldaten und rund 700 Polizisten“, erklärt M23-Oberst Seraphin Mirindi lächelnd, „eine gute Unterstützung für uns.“ Oberstleutnant Mankesi zuckt seufzend mit den Schultern: „Wir haben ja keine Wahl“, sagt er und befiehlt seinen Soldaten, ihre Waffen den Rebellen auszuhändigen.
Dann marschieren Polizisten im Gleichschritt durch das Stadion, salutieren vor der großen Tribüne vor den M23-Kommandeuren. Rebellensprecher Oberstleutnant Vianney Kazarama tritt ans Mikrofon. Die Menge jubelt ihm zu, während er seine Siegesrede hält. Er wettert über die allgegenwärtige Korruption der Politiker und Generäle, das Versagen der kongolesischen Regierung: „Wir werden Bukavu, Kisangani und dann Kinshasa befreien“, verkündet er. Präsident Joseph Kabila müsse abtreten und „uns unser Land zurückgeben!“ Die Menge jubelt.
Blaise Ciza schlendert nach der Ansprache aus dem Stadion. Er ist extra hergekommen, um sich anzuhören, was Gomas neue Herrscher vorhaben. „Nun, es sind zumindest Rebellen mit einer Vision und Ideologie“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Er ist überrascht, dass es während der Nacht keine Plünderungen gegeben hat und die M23 zunächst Sicherheit garantiert. „Wir Menschen hier haben ja keine Wahl“, seufzt er. „Wir müssen akzeptieren, wer auch immer hier die Herrschaft übernimmt.“
Währenddessen kehrt langsam ein wenig normales Leben in die Millionenstadt zurück. Tagelang waren während der Gefechte alle Geschäfte in Goma geschlossen, die Leute hatten sich in ihren Häusern verkrochen. Nach und nach öffnen an diesem Morgen einige Läden, die Leute wandern herum, um Lebensmittel zu kaufen. Schulen und Behörden sind jedoch immer noch geschlossen. Die UN-Blauhelmtruppe patrouilliert auf der Straßen. Die M23 hat angekündigt, dass sie sobald wie möglich eine Verwaltung einsetzen will, damit das normale Leben weitergehen könne. Ihre politische Führung wollte noch am Mittwoch in Goma eintreffen.
Rebellen: Nach der Einnahme Gomas haben die M23-Rebellen gestern die Kleinstadt Sake 30 Kilometer weiter westlich kampflos erobert. Sake ist ein Verkehrsknotenpunkt, dessen Kontrolle den Weg am Kivu-See entlang Richtung Bukavu, Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, ebnet.
Regierung: Kongos Premierminister Matata Ponyo betonte in Kinshasa in einer Erklärung, man werde weiterkämpfen. Es sollen frische Truppen der Regierungsarmee unterwegs in den Ostkongo sein, und es gibt Gerüchte über Machtkämpfe in der Armee. Der bisherige Provinzgouverneur Nord-Kivus hat sich nach seiner Flucht über den See aus Goma nach Bukavu inzwischen per Flugzeug in seine Heimatstadt Beni im Norden seiner Provinz gerettet.
Diplomatie: Kongos Präsident Joseph Kabila sprach gestern in Ugandas Hauptstadt Kampala mit den Präsidenten von Ruanda und Uganda, Paul Kagame und Yoweri Museveni. Nach ugandischen Berichten sagte Kabila Gespräche mit der M23 zu, sofern diese ihre "Aggression" beende und "unsere Souveränität respektiert".
UNO: Der UN-Sicherheitsrat hat auf Initiative Frankreichs den M23-Vormarsch scharf verurteilt. In seiner am Dienstagabend verabschiedeten Resolution 2076 forderte er die Rebellen nicht nur zum Rückzug aus Goma, sondern auch zur Niederlegung der Waffen und zur Selbstauflösung auf. (d.j.)