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20.1.2015 taz Nr. 10618 Ausland 122 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 10
Proteste gegen eine Wahlverschiebung arten in Gewalt aus. Opposition wünscht sich Volksaufstand wie in Burkina Faso
VON DOMINIC JOHNSON
BERLIN taz | Am Anfang stand ein Aufruf der größten Oppositionsparteien, das Parlament zu besetzen. So wie in Burkina Faso, wo die Erstürmung des Sitzes der Legislative durch aufgebrachte Jugendliche am 30. Oktober schon einen Tag später zum Sturz des Präsidenten führte, sollte auch in der Demokratischen Republik Kongo durch eine solche Aktion ein Fanal zum Volksaufstand gesetzt werden. Am Ende standen Straßenschlachten in Kongos Hauptstadt Kinshasa sowie in der ostkongolesischen Metropole Goma. Proteste gab es auch in Bukavu und Lubumbashi. Die von der Opposition genannte Zahl von 13 Toten in Kinshasa ließ sich zunächst nicht verifizieren, ebenso wenig Meldungen über getötete Polizisten.
Auslöser der Proteste am Montag war die Vermutung der Opposition, Präsident Joseph Kabila wolle über das Ende seiner gewählten Amtszeit im Dezember 2016 hinaus an der Macht bleiben. Zwar sind Überlegungen, die Begrenzung der gewählten Amtszeiten des Staatschefs auf zwei aus der Verfassung zu streichen, offenbar vorerst vom Tisch. Stattdessen aber hat das Parlament Veränderungen des Wahlgesetzes verabschiedet, die eine Wahlverschiebung nahezu zwingend erscheinen lassen.
So ist jetzt festgelegt, dass es vor den nächsten Wahlen eine Volkszählung geben muss. In einem riesigen, von Staatszerfall und Krieg verwüsteten Land wie dem Kongo ist das eine schier unmögliche Herausforderung. Die letzte Volkszählung gab es 1984. Eine neue Zählung beschloss die Regierung bereits 2009. Eine neue Volkszählungsbehörde (BCR) sollte das in drei Jahren erledigen. Bis heute hat sie damit nicht einmal begonnen, und im Oktober 2014 schuf Präsident Kabila ein konkurrierendes Nationales Amt zur Identifizierung der Bevölkerung (ONIP), was die Sache verkompliziert.
Die Opposition rechnet nun mit einer Dauer von vier Jahren und einer entsprechenden Wahlverschiebung auf mindestens 2019. Die Regierung hat bereits eine Verschiebung auf 2017 ins Spiel gebracht. Um das Wahlgesetz zu ändern, wurden die Parlamentarier eigens am 17. Januar, eigentlich als Jahrestag der Ermordung des Nationalhelden Patrice Lumumba ein Feiertag, in den „Volkspalast“ im Zentrum von Kinshasa geholt. Diese Woche soll noch das Oberhaus die Änderung absegnen.
Die Regierung tat ihr Möglichstes, um Proteste im Keim zu ersticken. Am Montagfrüh war der Volkspalast weiträumig abgeriegelt, Oppositionspolitiker waren in ihren Parteizentralen eingekesselt. Drei oppositionelle Fernsehsender, die den Demonstrationsaufruf verbreitet hatten, wurden abgeschaltet.
Dennoch versammelten sich an zahlreichen Orten in Kinshasa gewaltbereite Jugendliche und Studenten. In Goma wurden zwei Polizisten verletzt. In Kinshasa wurde das Büro von Vizepremierminister Evariste Boshab geplündert, ebenso Geschäfte im Besitz von Chinesen. Die Polizei, nach Angaben von Demonstranten auch die Präsidialgarde, schoss mit Tränengas und eröffnete vereinzelt das Feuer auf Steine werfende Jugendliche. Der zu einem Besuch bei Kabila angereiste Präsident von Angola musste per Hubschrauber zum Präsidentenpalast geflogen werden.
Es kursierten Fotos und Filmaufnahmen von Verwundeten sowie brennenden Straßensperren. Zahlreiche Geschäfte und Schulen blieben geschlossen. „Die Lage ist explosiv“, sagte der eingeschlossene Oppositionsführer Vital Kamerhe. „Ich fürchte, dass mit dem heutigen Tag die Lunte angezündet worden ist.“