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14.2.2017, Dominic Johnson
In der traditionell aufsässigsten Region des Landes greift ein Aufstand um sich. Der Staat antwortet mit brutaler Gewalt gegen die Bevölkerung.
BERLIN taz | Fotos zeigen tote Kinder im Sand verstreut vor einer Hütte. Der lokale Parlamentsabgeordnete Claudel Lubaya spricht von einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und fordert Aufklärung und Dialog.
Die Tötung von bis zu 100 Menschen durch Soldaten in der kongolesischen Stadt Tshimbulu am 9. und 10. Februar schlägt hohe Wellen.
Die Gewalt in der Provinz Kasai Central und Nachbarregionen hat längst Bürgerkriegsausmaße erreicht. „Der Staat und die staatliche Autorität existieren nicht mehr“, schrieb Parlamentarier Lubaya in seinem am Sonntag veröffentlichten offenen Brief. „Stattdessen sind Milizen das Gesetz. Ihnen gegenüber stehen Sicherheitskräfte mit dem Finger am Abzug, bereit, auf alles zu schießen, was sich bewegt.“
Kasai Central ist die Heimat des kürzlich verstorbenen wichtigsten kongolesischen Oppositionsführers Etienne Tshisekedi, der am Rande der Provinzhauptstadt Kananga geboren wurde. Kasai ist Hochburg der Tshisekedi-Partei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt), aber alle Provinzregierungen der Region kommen aus dem Lager der Regierung von Präsident Joseph Kabila.
Eine Besonderheit der Kasai-Region ist nicht nur die Oppositionshaltung, sondern die Vielzahl ungelöster Machtkämpfe. Die riesige Savannenregion wird seit der Kolonialzeit von traditionellen Chiefs verwaltet, deren Ämter in der Familie vererbt werden – aber Kongos Staatsmacht muss die Erben jeweils bestätigen. Oft sind sich Familie und Staat uneins.
Zwei solche Konflikte sind der Ursprung der aktuellen Gewalt, führte Emmanuel Ramazani, Fraktionschef von Kongos Regierungspartei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung), am 12. Januar im Parlament aus: In Kamuina Nsapu nahe Tshimbulu verweigerte der Staat Jean-Pierre Pande Nsapu, Neffe des 2012 verstorbenen Bajila-Kasanga-Chiefs, die Nachfolge, weil er weggezogen war. In Tshikapa erkannte Mbau Nkanka, Onkel eines 2016 vom Staat bestätigten neuen Chiefs, die Nachfolge nicht an.
Nsapu, der seine Bevölkerung zum Verjagen der „fremden Söldner“, also des Staates, aufrief, wurde im August 2016 von Sicherheitskräften getötet. Seine Leiche wird bis heute der Familie vorenthalten. Das war das Fanal zur Revolte in Tshimbulu.
Mittlerweile hat der Aufstand die gesamte Region zwischen Tshikapa und Kananga ergriffen. PPRD-Fraktionschef Ramazani sprach von einer „Aufstandsbewegung, die den Institutionen den Krieg erklärt hat“.
Berichten zufolge sind die meisten Aufständischen Kinder ab 10 Jahren. Ausgerüstet mit Stöcken und roten Stirnbändern, verlassen sie sich gegen die Armee auf Kriegsrufe und Zauberwasser. Doch wenn das alles wäre, wäre der Spuk längst vorbei.
Die Revolte ist ein Symptom desaströser Lebensumstände. Wie die katholische Kirche Kasais in einem Hirtenbrief im Dezember schrieb: Außer Fahrradkurier, Diamantenschürfer oder Drogenanbauer gibt es für die Jugend kaum Jobs.
Lokale Beobachter bezeugen, dass sich in einigen Regionen die Polizei auf die Seite der Rebellen geschlagen hat. In Tshikapa wurde der lokale UDPS-Koordinator unter dem Vorwurf der Unterstützung der Aufständischen festgenommen.
Der Staat „hat uns entwürdigt und traumatisiert,“ schrieb bereits im August ein Aktivist aus Kasai Central. „Die Staatsmacht hat in Tshimbulu alle Kinder zwischen 5 und 12 Jahren unter dem Vorwurf des Terrorismus gegen den Staat ausgelöscht.“ Mindestens 600 Menschen seien bei Übergriffen durch Soldaten ums Leben gekommen, heißt es in einem Bericht der humanitären UN-Koordinationsstelle OCHA von Mitte Januar.
Von Hausdurchsuchungen und „wahllosen und brutalen Festnahmen von Kindern“ ist die Rede: „Die Bevölkerung lebt in einem allgemeinen Schockzustand und scheint jedes Vertrauen in die Streitkräfte und die staatliche Ordnung verloren zu haben.“
Nach UN-Angaben hat die Gewalt seit August 2016 mindestens 216.000 Menschen in die Flucht getrieben. Berichten zufolge leben im Distrikt Dibaya, wo Tshimbulu liegt, 80 Prozent der eine Million Einwohner inzwischen in den Wäldern.