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23.3.2018, Simone Schlindwein
Erst kamen Frauen und Kinder über den See. Jetzt fliehen aus Kongos niedergebrannten Hema-Fischerdörfern die letzten Männer nach Uganda.
SEBAGORO/KYANGWALI taz | Die Oberfläche des Albertsees ist spiegelglatt. Sanft plätschern ein paar Wellen an den Strand. Am Horizont lassen sich die Berge am kongolesischen Ufer erahnen. „Manchmal sehen wir Rauchsäulen aufsteigen, wenn die Dörfer brennen“, sagt der Kommandant der ugandischen Marine, der mit seinem Funkgerät an der Anlegestelle von Sebagoro steht. „Dann wissen wir, dass bald noch mehr Flüchtlingsboote ankommen“.
Drüben, in der ostkongolesischen Provinz Ituri, wird wieder einmal gekämpft. Hunderttausende sind auf der Flucht, über 50.000 Kongolesen haben sich seit Beginn des Jahres nach Uganda gerettet, die meisten über den Albertsee. Eine waghalsige, fünfstündige Überfahrt in überfüllten Fischerkanus. Wenn die Winde durch den Albertinengraben pfeifen wie durch einen Windkanal, dann können die Wellen so hoch werden wie auf dem Meer. So wie vergangene Woche, als sich eine kongolesische Familie samt ihrer 27 Kühe auf ein Holzboot gedrängt hatte. Es kenterte. Der Kommandant in Sebagoro schickte seine Rettungsboote los: „Die Kühe ertranken aber zum Glück konnten wir die Menschen retten“, sagt er.
Von Weitem nährt sich ein Boot voller Menschen der Anlagestelle. Der ugandische Kommandant stapft über den Strand, steht mit den Schuhen im Wasser. „Seid ihr Flüchtlinge?“, ruft er. Der Bootskapitän winkt ab. „Wir kommen zu einer Beerdigung“, sagt er und zeigt auf einen Sarg in der Mitte des Bootes. Der Kommandant schüttelt den Kopf. „Fahrt woanders hin, das hier ist eine Anlegestelle nur für Flüchtlinge!“, ruft er und zeigt auf die weiß-blaue Flagge des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die im Wind flattert.
Jenseits des Sandstrandes hat das UNHCR ein Gelände eingezäunt. Der Ort Sebagoro besteht aus ein paar windschiefen Fischerhütten, drum herum grasen Antilopen und Büffel in der Savanne – ein Naturschutzgebiet, wo Menschen nichts zu suchen haben. Deswegen die Abschottung mit Stacheldraht: Zelte mit Wartebänken, Latrinen, Waschmöglichkeiten. Ein Helfer des Roten Kreuzes hat einen Kanister auf dem Rücken und besprüht jeden Flüchtling mit Chlor, eine Vorsichtsmaßnahme. Im Februar hatten Kongolesen Cholera mitgebracht, knapp 30 Menschen starben im Lager. „Wir müssen verhindern, dass das noch einmal passiert“, so Daniel Tam vom UNHCR. Er steht mit seinem Telefon am Strand und guckt auf die Uhr: „Es wird bald dunkel, lasst uns die Leute abtransportieren“, brüllt er in den Apparat.
447 Menschen sind an diesem Montag in Sebagoro gelandet, darunter viele Frauen und Kinder. „Die meisten sind schwer traumatisiert“, sagt Daniel Tam. Drei Busse haben schon Flüchtlinge samt Matratzen, Kochgeschirr und Säcken voller Bohnen ins zwei Stunden entfernte Lager Kyangwali gebracht. Aber noch immer sitzen knapp 100 Kongolesen in Sebagoro.
In den vergangenen Tagen sind vor allem junge Männer gekommen. Sie wirken gestresst, verwahrlost. „Wir haben unsere Frauen und Kinder vorgeschickt, in der Hoffnung, wir können unsere Dörfer verteidigen“, erklärt der 35-jährige Ate-Joel Piddu, der mit Freunden auf dem Boden hockt und auf den Bus wartet. „Doch jetzt haben sie unser Dorf abgefackelt – es ist nichts mehr übrig.“
Fischhändler Piddu stammt wie die meisten Ankömmlinge aus dem kongolesischen Dorf Joo. Wenn er erzählt, überschlagen sich seine Worte, Stress und Panik stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Zwei Mal sei Joo angegriffen worden. Die dort stationierten Soldaten der kongolesischen Armee seien davongelaufen. Auf seinem Handy zeigt er Fotos von der ersten Attacke am 12. März: verstümmelte Leichen, abgehackte Gliedmaßen, Gedärme und Blut im Sand. „Sie kamen im Morgengrauen, mit Macheten und Lanzen“, erzählt er. „Sie haben einer schwangeren Frau das Baby herausgeschnitten“. Daraufhin seien alle Frauen und Kinder aus Joo geflohen.
Die Männer seien geblieben, um das Eigentum zu schützen, so Piddu. Doch dann fiel rund um Joo ein Dorf nach dem anderen den Angreifern zum Opfer. „Wir sahen die Rauchsäulen.“ Der Dorfvorsteher habe dann entschieden: Auch die Männer sollen fliehen. Im Morgengrauen seien sie auf die Boote gestiegen. Eine Stunde später an jenem Morgen, es war der 14. März, standen auch die Hütten von Joo in Flammen. Als drei Tage später eine Patrouille mit UN-Blauhelmen aus der 45 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Bunia durch Joo fuhr, wurde sie beschossen. Die UN-Soldaten erwiderten das Feuer. Die Angreifer flohen in die Berge. Nach eigenen Angaben hat die UN-Mission im Kongo (MONUSCO) in Joo elf Leichen gezählt. Piddu berichtet von 45 Toten.
Joo, Tchomia, Gobu, Musekere, Muganga, Tara, Kanga – fast täglich geht ein weiteres Dorf in Ituri in Flammen auf. Wer sind die Angreifer, in ziviler Kleidung mit Gartengeräten als Waffen? Piddu zuckt mit den Schultern. „Alle sagen, es sind die Lendu, die uns wieder angreifen.“ Er selbst gehört wie alle Fischer in Joo zur Ethnie der Hema. Beide Volksgruppen der Provinz Ituri hatten sich im Kongo-Krieg von 1998 bis 2003 gegenseitig massakriert, einer der blutigsten Konflikte des großen Landes. Jetzt wiederhole sich das, so Piddu.
„Wir wollen keine Rache so wie im letzten Krieg“, habe der Hema-Chief in Joo entschieden, erläutert Piddu. Die jungen Männer um ihn herum stimmen zu. Einer ruft: „Die Politiker in der Hauptstadt haben die Gewalt angezettelt.“ Plötzlich schreien und diskutieren sie lautstark durcheinander: „Unser Präsident steckt das ganze Land in Flammen, damit wir keine Wahlen abhalten können“, sagt einer. „Wir sind nur die Opfer!“, ruft ein anderer. „Wir wollen doch endlich Frieden!“, übertönt Piddu das Stimmengewirr. Alle nicken zustimmend.
Dann ruft ein UNHCR-Mitarbeiter durch ein Megafon: Der Bus sei abfahrbereit. Hektik breitet sich aus. Die knapp hundert Kongolesen raffen ihre Habseligkeiten zusammen. Es wird gedrängelt und gequetscht. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit tuckert der Bus auf der morastigen Straße durch das Naturschutzgebiet gen Süden: zur Flüchtlingssiedlung Kyangwali.
Kyangwali ist eines der ältesten Flüchtlingslager in Uganda. Drumherum war einmal dichter Regenwald. Jetzt stehen dort nur noch verkohlte Baumstummel auf verbrannter Erde: Flüchtlinge benötigen Feuerholz zum Kochen. Kyangwali wurde 1960 aus dem Boden gestampft, als ruandische Tutsi vor Massakern nach Uganda flohen. Seit den 1990er Jahren wurden dort vor allem Kongolesen einquartiert. Im Dezember lebten dort knapp 40.000 Flüchtlinge. Jetzt sind es mehr als 60.000. Der UNHCR kommt mit der Registrierung kaum hinterher. Das völlig überfüllte Aufnahmezentrum ist für maximal 2.000 Personen ausgelegt, derzeit hausen dort 6.000.
Der Bus hält vor einem Zaun mit Stacheldraht. Ein Lautsprecher dröhnt, warnt vor Cholera, ermahnt die Neuankömmlinge, sich zu desinfizieren. Helfer vom Roten Kreuz in knallroten Westen und Plastikhandschuhen zerren jeden zu den Waschwannen. Die Neuankömmlinge werden registriert und von Ärzten untersucht , bevor sie ins Lager können. Dort bekommen sie dann Lebensmittel, Zeltplanen und ein Stück Land zugeteilt.
Jenseits des Zaunes sitzt Emmanuel Nzeyimana auf einer Bank vor seiner schiefen Lehmhütte mit Strohdach. Der 19-jährige Kongolese floh mit seiner Mutter und Schwester vor vier Jahren nach Uganda, er hat sich in der Flüchtlingssiedlung ein Haus gebaut. All die Neuankömmlinge zu sehen macht ihm Angst. „Das bedeutet für uns, dass wir hier bald weniger Lebensmittelrationen bekommen und dass wir keine Hoffnung haben, bald in unsere Heimat zurückkehren zu können“, sagt er: „Es ist, als ob sich die Geschichte in unserem Land immer wieder wiederholt.“