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9.11.2013 taz Nr. 10256 Aktuelles 227 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 04
Die M23-Rebellen sind besiegt, der deutsche UN-Chef Martin Kobler und der lange in Deutschland lebende Armeechef François Olenga machten dem Staat Beine. Und jetzt?
VON DOMINIC JOHNSON
Kongo staunt. Zum ersten Mal in der Geschichte hat eine kongolesische Regierungsarmee eine vom Ausland unterstützte Rebellion besiegt. Die gefürchtete M23 (Bewegung des 23. März) im Ostkongo hat sich in Luft aufgelöst.
Im letzten Gefecht der M23 stürmten in der Nacht zum vergangenen Dienstag drei bis vier Regimenter der FARDC mit je 1.200 Mann, unterstützt von tansanischer Artillerie und südafrikanischen Kampfhubschraubern, den wichtigsten Militärstützpunkt der Rebellen, Chanzu in 2.000 Meter Höhe am Dreiländereck Kongo, Uganda, Ruanda. Als die Geschosse einschlugen, ergriffen die wenigen hundert M23-Kämpfer, die zuvor vom Guerillakrieg aus uneinnehmbaren Bergbastionen geträumt hatten, die Flucht. Sie ließen Munition, ausgebrannte Fahrzeuge und Artilleriegeschosse zurück. Uganda hat jetzt 1.365 flüchtige M23-Kämpfer auf seinem Staatsgebiet registriert. Am Montag soll in Uganda ein Friedensvertrag unterzeichnet werden.
Der Sieg über die M23 hat zwei Väter, und beide haben einen deutschen Hintergrund. Kongos neuer Armeechef François Olenga, ernannt nach dem spektakulären Fall der Millionenstadt Goma an die M23 vor einem Jahr, hat die damals marode Soldateska komplett reorganisiert. Die oberen Ränge wurden verjüngt, Kommando- und Versorgungsketten gestrafft. Früher plünderten ausgehungerte Soldaten die Bevölkerung, betranken sich im Angesicht des Feindes und warfen dann ihre Ausrüstung weg, um schneller davonzulaufen. Jetzt agierte die FARDC nicht minder gut organisiert als die legendär kampfstarken Tutsi-Rebellen – nur viel größer und mit unbegrenztem Nachschub.
Olenga, Sohn eines Mitstreiters von Kongos Befreiungsheld Patrice Lumumba in den 60er Jahren, lebte lange im Kölner Exil. 1997 beim Sturz der zairischen Mobutu-Diktatur stieß er zum damaligen Rebellenführer, Laurent-Désiré Kabila, später Präsident und Vater des heutigen Präsidenten Joseph Kabila. Der fast schon pensionierte Olenga, der fließend deutsch spricht, erlebt nun seinen zweiten Frühling – gemeinsam mit dem neuen deutschen Chef der UN-Mission im Kongo (Monusco), Martin Kobler, der nach Meinung vieler Kongolesen mehr bewirkt hat als alle anderen UN-Missionschefs im Land.
Unter Koblers Leitung legte sich die Monusco, lange Zeit als ahnungslos und unfähig verschrieen, eine schlagkräftige Kampftruppe zu, die „Force Intervention Brigade“ (FIB) aus mehreren tausend Soldaten aus Südafrika und Tansania. Im März 2013 vom UN-Sicherheitsrat beschlossen, hat diese Truppe etwa zeitgleich mit Koblers Amtsübernahme im August ihre Aktivitäten entfaltet. Ihre Effektivität drängte die M23 zurück und hob die Moral der FARDC im entscheidenden Moment.
Kobler geriert sich als Feldherr. Der Deutsche besucht vor Kameras verletzte kongolesische Soldaten im Krankenhaus, er eilt unermüdlich an die Kriegsfront, er lässt sich in „befreiten“ Orten feiern, er setzt politische Vorgaben. Man könnte fast vergessen, dass der Kongo eigentlich einen eigenen Präsidenten hat. Präsident Joseph Kabila hat sich im Osten bislang nicht blicken lassen und zum Sieg über die M23 nichts gesagt. Sein letzter öffentlicher Auftritt in Kinshasa war vor zwei Wochen im Parlament.
So richten sich nun alle Augen auf die beiden deutschen Feldherren. In Kinshasa danken derweil riesige staatliche Plakate der FARDC und loben den „Rais“ (Führer), wie der Präsident sich heutzutage gern nennen lässt, für die „Wiederherstellung des nationalen Zusammenhalts“. Regierungsnahe Zeitungen diskutieren, wie man die Armee belohnen sollte. Kongo sieht sich – zum ersten Mal seit den Zeiten Mobutus – als starke Nation.
Das ist eine bedenkliche Entwicklung in einem Land, das einen zentralen Platz in Afrika einnimmt und zugleich auf dem letzten Platz der UN-Entwicklungsrangliste steht. Die 70 Millionen Kongolesen leben mehrheitlich in bitterer Armut. Und die Bevölkerungszahl nimmt rasant zu. Knapp drei Millionen Kongolesen sind nach wie vor auf der Flucht. Der Staat ist weltweit dafür berüchtigt, dass er nicht funktioniert: Absprachen mit Gebern werden nicht eingehalten, Gesetzestexte bleiben liegen, privater Vorteil rangiert vor dem öffentlichen Wohl.
Erst im Oktober stellte der EU-Rechnungshof fest, dass von 1,9 Milliarden Euro EU-Hilfsgeldern für den Kongo seit 2003 über die Hälfte ohne jede Wirkung versickert sind. Seit 2011 sind ein Großteil zugesagter internationaler Hilfen eingefroren. 2012 wurden von den vereinbarten Summen nur etwa 15 Prozent ausgezahlt, in den ersten acht Monaten 2013 nur etwas mehr als 1 Prozent.
So gibt Kongos Regierung auch regelmäßig viel weniger Geld aus als im Staatshaushalt steht. Aber die Kürzungen sind selektiv. 2012 betrug der Etat des Präsidenten 122 Milliarden kongolesische Franc, aber seine realen Ausgaben laut Haushaltsministerium 177 Milliarden; aus dem Gesundheitsetat von 517 Milliarden wurden tatsächlich nur 141 Milliarden verwendet. Auch 2013 gibt der Präsident bislang mehr Geld aus als für das gesamte Gesundheitswesen.
Mit bedingungsloser internationaler Unterstützung sind solche Zustände unvereinbar. Bevor der UN-Sicherheitsrat im März 2013 die Entsendung offensiver Eingreiftruppen billigte, musste Kongos Regierung deswegen im „Rahmenabkommen von Addis Abeba“ politische Reformen zusagen. Die Hilfe der UNO gegen die M23 war ein gigantischer Vertrauensvorschuss.
Wie wird Kinshasa nun antworten? Im September erarbeitete in Kinshasa eine „nationale Konzertation“ mit über 700 Delegierten aus allen politischen Lagern Hunderte detaillierter Vorschläge für bessere Regierungsführung. Aber in seiner mit Spannung erwarteten Antwortrede vor dem Parlament am 23. Oktober machte Kabila lediglich vage Versprechungen.
Reformen sind möglich, das hat die Reform der Armee gezeigt. Aber wenn nur die Armee reformiert wird, steht sie als der einzige effiziente Teil eines dysfunktionalen Staatswesens da. Das fördert die Militarisierung des politischen Lebens.
Niemand kann nun widersprechen, wenn Armeechef Olenga mehr Geld verlangt. Große Aufgaben stehen bevor: Weitere bewaffnete Gruppen werden bekämpft und dann entweder demobilisiert oder in die Armee integriert. Es gibt aber wohl erst Mitte 2014 ein Demobilisierungsprogramm, so Kobler am Mittwoch vor dem UN-Sicherheitsrat. So wächst das Militär erst einmal weiter.
Das fördert Rückfälle in alte Zeiten. Aus dem eroberten M23-Gebiet werden bereits Racheakte gemeldet, hungrige Soldaten stehlen die Kühe der Tutsi-Bevölkerung. Es sei eben nicht einfach, 20.000 Soldaten in schwierigem Terrain zu versorgen, heißt es dazu seitens der UNO. Bald werden die Soldaten noch mehr und das Terrain noch schwieriger.